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Gehörlosengeschichte

Unsere Geschichte - die Geschichte der Gehörlosen – ist turbulent.

Hier die für uns wichtigsten Eckpfeiler:

Von der Antike bis zur Neuzeit hielt man gehörlose Menschen für nicht bildungsfähig und deshalb für dumm. Da sich im Lauf der Zeit die Gehörlosigkeit vor allem in adeligen Familien zeigte, gab es ein großes Interesse Gehörlose zu bilden, um sie erbfähig zu machen.

In ganz Europa wurden verschiedene Methoden entwickelt, um Gehörlose zu unterrichten. Die bekanntesten sind die Französische Methode und die Deutsche Methode.

Die Französische Methode von Abbé de L`Epée sah die Gebärdensprache als natürliche Sprache der Gehörlosen an. Das Hauptziel des Unterrichts war das Erlernen der Gebärdensprache und der Schriftsprache UND die Vermittlung von Bildung. Gehörlose Schüler erreichten damit ein hohes Bildungsniveau. Manche von ihnen arbeiteten später selbst als Lehrer.

Die Deutsche Methode von Samuel Heinicke – sie wird auch als orale Methode bezeichnet – konzentrierte sich auf das Erlernen der deutschen Lautsprache und auf das Lippenlesen. Die Gebärdensprache wurde dabei als hinderlich erachtet und nicht eingesetzt bzw. verboten. Auf Bildung wurde kein Wert gelegt.

Europaweit wurden parallel beide Methoden verwendet. Bis es 1880 beim Zweiten internationalen Taubstummen-Lehrer-Kongress in Mailand zum Methodenstreit kam. Die Gehörlosenlehrer sollten sich bei diesem Kongress für eine der beiden Methoden entscheiden. Es durften nur hörende Lehrer abstimmen, gehörlose Lehrer wurden von der Abstimmung ausgeschlossen. Die Deutsche Methode gewann und etablierte sich im Lauf der Zeit weltweit. Eine fatale Entscheidung, deren negative Folgen für uns bis heute spürbar sind.

Negative Folgen sind zum Beispiel:

  • Unterdrückung der Gebärdensprache und teilweises Gebärdenverbot an Schulen
  • Es gibt kaum gehörlose Lehrer.
  • Das Erlernen der deutschen Lautsprache durch Lippenlesen ist mühsam und sinnlos. Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Hörenden und Gehörlosen bleiben.
  • Das Sprechen lernen steht immer noch im Vordergrund, der Erwerb von Wissen ist zweitrangig.
  • Der Unterricht für Gehörlose wird meist nur in einfachem Deutsch angeboten. Eine Folge davon: Das Bildungsniveau von gehörlosen Menschen ist niedriger als das von hörenden.
  • Schlechte Bildung bedeutet schlechte Berufschancen.
    Die meisten Gehörlosen haben nur einen Lehrabschluss, eine Höherqualifizierung ist mangels Angebote oft nicht möglich.
  • In den Bereichen Bildung, Früh- und Sprachförderung, Medizin, Behörden gibt es immer noch viel zu wenig Angebote in Gebärdensprache.

Ein besonders dunkles Kapitel in unserer Geschichte ist die Zeit des Nationalsozialismus. Gehörlose wurden wegen ihrer Gehörlosigkeit verfolgt, zwangssterilisiert und getötet.

Seit dem 2. Weltkrieg verbessert sich die Situation gehörloser Menschen immer mehr. Ein verändertes Menschenbild, das Gehörlose NICHT mehr als Menschen mit einem Defizit sieht, sondern als Menschen, „die alles können – außer hören“, hilft uns in unserem Kampf um Gleichberechtigung.

Einige unserer Erfolge:

Gehörlose leisten endlich Widerstand!


Etablierung von Gehörlosen-Kongressen


Gründung von Sportvereinen, Klubs und Verbänden


seit 1980

untertitelte Sendungen beim ORF


seit Ende der 1990-er Jahre

Gehörlose haben die Möglichkeit in Klagenfurt und Graz eine Ausbildung zum/r Gebärdensprachlehrer:in zu machen.


seit Ende der 1990-er Jahre

seit 1998

Ausbildungen für Gebärdensprach-dolmetscher:innen in Ö


2005

Anerkennung der österreichischen Gebärdensprache


2005

2010

Entschuldigung und Rücknahme der Beschlüsse des Mailänder Kongresses


2009 - 2017

Helene Jarmer ist die erste gehörlose Abgeordnete zum Nationalrat in Österreich


2009 - 2017

Gründung von Gehörlosenambulanzen in Linz, Graz, Salzburg, Wien, Klagenfurt und Wiener Neustadt.


Kinderbücher und Kindersendungen in Gebärdensprache


Österreichweiter Telefondienst für Gehörlose


Auch wenn diese Erfolge natürlich erfreulich sind:
In unserem Kampf für die volle gleichberechtigte Teilhabe gehörloser Menschen an der Gesellschaft haben wir noch einen weiten Weg vor uns.